Moleküle – Schmerz – Emotion:
Warum Schmerz schmerzt.

W. Zieglgänsberger, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München

Schmerzreize führen über die Aktivierung limbischer Strukturen wie der Amygdala, dem Hippocampus, großen Anteilen des Frontalcortex und des cingulären Cortex zu einer Angstkonditionierung (Marsicano et al. 2002). Angst vor einem wiederkehrenden akuten Schmerzerleben führt schließlich – ähnlich wie bei Folteropfern – zu Symptomen einer posttraumatischen Stresserkrankung (Asmundson et al. 2002). Diese Patienten entwickeln eine pathologisch übersteigerte angstgeprägte Erwartungshaltung gegenüber dieser Empfindung. Bleibt der Schmerz kontinuierlich unter Kontrolle, dann baut der Patient die Angst vor der nächsten Attacke ab und fokussiert außerdem seinen Blick weniger auf die erlösende Medikamentengabe. Bei dieser Form der pharmakologisch gestützten kognitiven Verhaltenstherapie tritt der vom Patienten aufgrund seiner früheren Erfahrung erwartete Schmerz („...es tut ja doch wieder weh, von A nach B zu gehen“) durch eine vorherige Schmerzausschaltung(-linderung) nicht auf. Dieser „Vorhersagefehler“ ist ein entscheidender Faktor für das „Überschreiben“ alter und dem Erlernen neuer Verhaltensmuster. Durch diesen Lernprozess entwickelt der Patient Vertrauen in eine schmerztherapeutische Maßnahme, die er auch durch das eigene Verhalten steuern kann und die so nicht nur schmerzreduzierend, sondern auch im weitesten Sinne anxiolytisch wirksam wird. Aus diesem Grund sollten auch Rehabilitationsmaßnahmen möglichst unter analgetischer Medikation durchgeführt werden. Es ist einleuchtend, dass nur eine schmerzfreie oder -arme Übungsbehandlung keine Ängste aufbaut und die Bereitschaft und die Motivation des Patienten erhält. Im Rahmen dieser Therapiestrategien ist es besonders wichtig, Medikamente zur Verfügung zu haben, die durch einen vorwiegend spinalen Wirkmechanismus die Vigilanz nicht einschränken und so die Lernbereitschaft des Patienten erhalten. Nur unter solchen Voraussetzungen ist ein Überschreiben von aversiven Erinnerungen durch neue Inhalte möglich. Es zeichnet sich ab, dass hier auch Substanzen zum Einsatz kommen können, die die kognitiven Fähigkeiten des Patienten erhöhen und ihn so in die Lage versetzen, von einem „Enriched Environment“ z.B. im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme nachhaltiger beeinflusst zu werden. In diese kontextspezifischen Lernvorgänge werden die Rahmenbedingungen (Ort, Applikationsart, Therapeut) unter denen die Maßnahmen bereits erfolgreich waren, einbezogen und dann möglichst beibehalten.

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