Montag, 08. Oktober 2007
17:00 – 18:00 Uhr
Schmerzzentrum Göppingen Schillerplatz 8/1
Von Akupunktur über Nervenstimulation bis Quellgas – das Spektrum der Schmerztherapie
Dr. med. Sabine Höinghaus, Göppingen
Dr. med. Matthias Milius, Göppingen
Dr. med. H. H. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen
Die Akupunktur hat in der Schmerzmedizin einen festen Platz gefunden. Doch nicht nur die Methode kann dazu beitragen, dass Schmerzen gelindert werden. Die moderne Schmerztherapie hat ein sehr breites Spektrum.
Akupunktur – eine effektive Heilmethode oder Scharlatanerie?
Was ist Akupunktur?
Akupunktur ist eine der ältesten heute noch praktizierten Heilmethoden der Welt.
Durch Einstiche mit sterilen Nadeln an genau definierten Punkten der Haut sollen
Störungen im Körperinneren beseitigt oder gelindert werden.
Was sind Akupunkturmeridiane?
Akupunktur beruht auf exakter Beobachtung von Reaktionen auf den Stich an
bestimmten Körperstellen. In China wurde sehr exakt beobachtet, und die
Beobachtungen wurden nicht nur beschrieben, sondern natürlich auch in ein
philosophisches Verständnis der Vorgänge im Menschen eingebettet.
Aus dieser Situation heraus wurde eine Systematik erstellt, nach der
Akupunktur-punkte auf Leitlinien zu finden sind, die man als Meridiane
bezeichnet. Nach alt-chinesischer Auffassung kreist die sogenannte Lebensenergie
mit ihren Anteilen Yin und Yang in diesen Meridianen.
Diese beiden lebenserhaltenden Kräfte sind Gegenspieler und immer gleichzeitig
im Körper vorhanden. Nach chinesischer Vorstellung stellt ihr völliges
Gleichgewicht den idealen Gesundheitszustand dar, entsteht eine Dysbalance, ein
Ungleichgewicht zwischen diesen Kräften, kommt es zur Krankheit.
Der Sinn der Akupunktur besteht nach diesem Verständnis darin, durch Einwirkung
auf Akupunkturpunkte eine entgleiste Balance wieder herzustellen. Der Reiz auf
die Punkte kann dabei sowohl durch einen Nadelstich erfolgen – dies bezeichnet
man als Akupunktur – es kann aber auch durch Wärme (Moxibustion), Ultraschall,
Laserstrahl oder auch durch Druck mit dem Finger oder einen Stift gereizt werden
(Akupressur).
Akupunktur behandelt zusammenhängende Funktionen
Betrachtet man auf einer Akupunkturtafel den Verlauf der Meridiane, wird
verständlich, dass durch diese Systematik zusammenhängende Funktionen
beeinflusst werden, die oft weit auseinander liegen.
So kann zum Beispiel eine Störung im Bereich der Sprunggelenke zu Kopfschmerzen
führen. Manche Kopfschmerzformen können deshalb von Akupunkturpunkten des Fußes
aus behandelt werden.
Ist Akupunktur schmerzhaft?
Die Vorstellung, mit Nadeln in die Haut gestochen zu werden, weckt bei manchen
Menschen Ängste und Erschrecken. Akupunktur ist allerdings in aller Regel
keineswegs schmerzhaft, da sehr feine Nadeln benützt werden und im Gegensatz zu
Spritzennadeln, die angeschliffene Stahlrohre sind und die Haut durchschneiden,
Akupunkturnadeln das Gewebe auseinander gedrängt wird, ohne dass die
Akupunkturnadel schneidet.
Der geringe Schmerz beim Einstich ist vergleichsweise viel geringer als der, der
bei Spritzen entsteht. Deshalb kann man auch Kinder ab etwa 5 Jahren schon mit
Akupunkturnadeln behandeln, wenn hierfür spezielle, ganz besonders dünne Nadeln
benützt werden. Bei noch jüngeren Kindern kommt der völlig schmerzfreie
Akupunkturlaser zur Anwendung.
Was ist Ohrakupunktur?
Im Ohr gibt es Reflexzonen, über die nach der Lehrer der Ohrakupunktur alle
Organe des Körpers zu beeinflussen sind. Dies kennt jedermann anhand des
Hustenreflexes, der beim Ohrenputzen manchmal ausgelöst wird. Hier wird ein
Areal stimuliert, über das das Zwerchfell reagiert. Diese Zusammenhänge wurden
ausführlich von dem französischen Arzt Dr. Paul Nogier entdeckt, untersucht und
beschrieben.
Aufgrund der kurzen Nervenbahnen kann man vor allem akute Erkrankungen sehr gut
über die Ohrakupunktur beeinflussen.
Gibt es eine
Störfeldsuche über Ohrakupunktur?
Nach der chinesischen Lehre kann man über das Ohr Störfelder im Körper
lokalisieren. Hierbei wird vor allem der sogenannte Auriculo-Radialis-Reflex
benützt, ein Reflex, der die Tatsache beschreibt, dass bei Stimulation mit Druck
oder Laser auf eine entsprechende Reflexzone im Ohr bei einem gestörten Organ
der Puls am Handgelenk sich verändert.
Welche Krankheiten können mit Akupunktur geheilt oder gelindert werden?
Insbesondere zur Behandlung von Schmerzen ist die Akupunktur gut geeignet. Immer
dann, wenn Strukturen zerstört sind, z. B. bei starker Arthrose oder ähnlichem,
kann die Akupunktur diese Störung nicht heilen, wohl aber eine deutliche
Linderung der Beschwerden bewirken.
Deshalb wird Akupunktur erfolgreich bei zahlreichen Erkrankungen eingesetzt, z.
B. bei allen Funktionsstörungen des Magen-Darm-Traktes, bei gynäkologischen
Erkrankungen, bei allergischen Erkrankungen, bei Herz-Kreislauf-Störungen,
Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen, bei Orthopädischen Erkrankungen mit funktionellen
Störungen des Bewegungssystems, bei psychischen Erkrankungen, insbesondere auch
bei depressiven Verstimmungen, Erschöpfungszuständen, Schlafstörungen wie auch
in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, z. B. bei Zähneknirschen.
Wie wirkt
Akupunktur zur Schmerzbehandlung?
Nach modernem Verständnis wird Akupunktur als eine Reflexzonentherapie oder auch
Gegenirritationsverfahren angesehen. Durch die Stimulation des Akupunkturpunktes
kommt es zu einem Informationsfluss zum Rückenmark, der weitergeleitet wird an
Hirnstamm, Großhirnrinde und weitere Strukturen. Abhängig vom Ort, der Stärke
und Art der Stimulation wird der empfangene Reiz vom Nervensystem weiter
verarbeitet.
In der Schmerztherapie geht es vor allem darum, schmerzhemmende Nervenfasern zu
aktivieren und damit das Körpereigene Schmerzkontrollsystem zu verstärken. Dies
ist möglich, weil unser Nervensystem an jeder Nervenzelle und Faser nicht nur
aktivierende Bestandteile hat, sondern auch gleichzeitig hemmende Bestandteile,
so dass jede Nervenfaser immer an zwei Zügeln hängt.
Dieses Wirkprinzip ist sehr gut erforscht und gut reproduzierbar. Immer, wenn am
Körper schmerzhafte Areale sind, entsteht in der Umgebung ein sogenanntes
hemmendes Feld. Nervenfasern von diesem hemmenden Feld greifen, wenn sie
stimuliert werden, auf die gleiche Nervenzelle zu, die den schmerzhaften Reiz
empfangen hat und aktivieren dort hemmende Botenstoffe, die verhindern, dass der
ursprüngliche schmerzhafte Reiz zu höher gelegenen Zentren weitergeleitet wird.
Kann man mit
der Akupunktur Schmerzen heilen?
Akupunktur ist keinesfalls ein universelles Therapieverfahren, das alle
Krankheiten heilen kann, die mit anderen Methoden nicht zu heilen gewesen sind.
Vielmehr ist Akupunktur ein Baustein in einem sinnvollen schmerztherapeutischen
Gesamtkonzept. Dieses muss immer mehrere Bestandteile enthalten, nämlich
Genauso wenig, wie man ein Haus nur mit Kieselsteinen bauen kann, kann die Akupunktur alleine Schmerzprobleme beseitigen. Im Gesamtkonzept ist sie allerdings ein wertvoller Baustein.
Kann man
unter Akupunkturbehandlung operieren?
Weil die Stimulation über Akupunkturpunkte körpereigene schmerzhemmende
Botenstoffe aktiviert (Endorphine = körpereigene Morphine), kann man unter
Akupunkturstimulation durchaus Operationen durchführen.
Hilft Akupunktur bei
allen Schmerzen?
Um beurteilen zu können, ob Akupunktur bei dem einzelnen Patienten wirksam ist,
ist eine sorgfältige schmerztherapeutische Untersuchung notwendig, die auf der
Kenntnis des gesamten schmerztherapeutischen Diagnose- und Therapiespektrums
beruht. Nur so kann man feststellen, ob Akupunktur in einem Therapiekonzept
sinnvoll sein kann.
Wie sind die Langzeiterfolge?
Die Erfolge mit Akupunktur sind außerordentlich gut, wenn diese in einem
Gesamtkonzept stehen. Häufig sind mehrere Behandlungen notwendig, bis Patienten
deutliche Erleichterung spüren. Nach einer erfolgreichen Behandlung sollte in
regelmäßigen Abständen die gebahnten Reflexe neu aktiviert werden, durch
Wiederholen von Akupunktursitzungen in größeren Abständen.
Zahlen die gesetzlichen bzw. privaten Versicherungen Akupunkturbehandlungen?
Bis zu 10 Akupunkturbehandlungen werden von allen gesetzlichen Krankenkassen als
reguläre Kassenleistung auf Krankenschein/Versichertenkarte übernommen, sofern
es sich um Schmerzen bei Kniegelenksarthrose bzw. unspezifischen
Rückenschmerzen, handelt und der akupunktierende Arzt eine entsprechende
Qualifikation erworben hat.
Privatversicherungen übernehmen in aller Regel die Kosten für Akupunktur bei
allen Schmerzdiagnosen.
Wer kann akupunktieren?
Akupunktur sollte nur von solchen Ärzten durchgeführt werden, die eine
entsprechende Qualifikation in Akupunktur nachweisen können und bei
Schmerzakupunktur selbstverständlich auch eine schmerztherapeutische
Qualifikation.
Kein Patient käme auf die Idee, sich von einem Chirurgen am Blinddarm operieren
zu lassen, wenn der Chirurg nicht dazu in der Lage ist, auch zu unterscheiden,
ob der Patient Gallensteine, eine Schilddrüsenentzündung oder eine
Blinddarmentzündung hat. Insofern ist die Kenntnis des gesamten Diagnose- und
Therapiespektrums essentiell für einen sinnvollen Einsatz von Akupunktur in der
Schmerztherapie.
Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe
Präsident
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V.